Die Lyme-Borreliose (seit 2015 als Borreliellose bezeichnet) ist eine Infektionserkrankung, die durch das Bakterium Borreliella burgdorferi s.l. (alte Bezeichnung: Borrelia burgdorferi s.l.) hervorgerufen wird. Oft sind ganze Familien davon betroffen.
Erstmals wurde dieses Bakterium Anfang der 1980iger Jahre aus Zecken isoliert.
Erklärung: s.l. steht für sensu lato, also im weiteren Sinne und schließt mehrere humanpathogene Spezies ein.
Zu Borreliella burgdorferi s.l. gehören in Europa:
Borreliella burgdorferi sensu stricto (Johnson et al. 1984) Adeolu and Gupta 2015
Borreliella garinii (Baranton et al. 1992) Adeolu and Gupta 2015
Borreliella afzelii (Canica et al. 1994) Adeolu and Gupta 2014
Borreliella bavariensis (Margos et al. 2013) Adeolu and Gupta 2015
Borreliella spielmanii (Richter et al. 2006) Adeolu and Gupta 2015
Zuvor gingen im Oktober 1975 am Department of Public Health, Yale University School of Medicine, New Haven (Connecticut, USA) erstmals Berichte über eine ungewöhnliche Häufung von juveniler rheumatoider Arthritis in drei kleinen Gemeinden östlich des Connecticut Rivers ein.
Polly Murray, eine Patientin aus Lyme, Connecticut, wandte sich an das State Health Department. Sie litt seit Jahren an Hautausschlägen und Gelenkschmerzen, doch keiner der vielen Ärzte, die sie aufsuchte, konnte eine Ursache dafür finden. In ihrem Wohnort war das keine Seltenheit, denn auch ihr Mann, zwei ihrer Söhne und einige andere Kinder litten an einer Arthritis. Bei den Kindern hatte man bereits die Diagnose einer juvenilen idiopathischen Arthritis gestellt. Zur gleichen Zeit wandte sich auch Judith Mensch mit einer ähnlichen Geschichte an das Health Department.
Quelle: Feder, H.M., Jr., et al., Diagnosis, treatment, and prognosis of erythema migrans and Lyme arthritis. Clin Dermatol, 2006. 24(6): p. 509-20.
Um der Ursache dieser Arthritisepidemie auf den Grund zu gehen, organisierte die Universität in Zusammenarbeit mit den in der Region ansässigen Ärzten und lokalen Gesundheitsbehörden eine medizinische Untersuchung der Bevölkerung. Die Ergebnisse waren sehr alarmierend: In den drei mitten in einer Waldlandschaft gelegenen Gemeinden East Haddam, Lyme und Old Lyme, welche zusammen gerade mal eine Einwohnerzahl von ca. 12.000 misst, waren entzündliche Gelenkserkrankungen bei den Kindern um das 100-fache häufiger vorzufinden, als im Rest des Landes. Aber auch die epidemiologische Analyse der Erwachsenen zeigte eine deutlich erhöhte Arthritis-Prävalenz. Viele weitere Auffälligkeiten kamen zum Vorschein, wie z.B., dass bei 55% der Patienten die ersten Symptome in den Sommer- und Herbstmonaten auftraten und dass Familien, die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Wald wohnten, viel häufiger betroffen waren. Dies alles legte schon sehr früh den Verdacht nahe, dass es sich um eine durch Insekten übertragene Erkrankung handelte.
In den nun folgenden Jahren gelang es den Wissenschaftlern, einen recht eindeutigen Bezug zwischen dem Verbreitungsgebiet einer Zecke, namentlich Ixodes dammini, und den Symptomen herzustellen.
Quelle: Steere AC, Malawista SE, Snydman DR, Shope RE, Andiman WA, Ross MR, Steele FM (1977): Lyme arthritis: An epidemic of oligoarticular arthritis in children and adults in three Connecticut communities. Arthritis Rheum 20, 7-17
Gegen Ende September 1981 begannen die Untersuchungen des Auslandsschweizers Willy Burgdorfer im Auftrag der Rocky Mountain Laboratories in Hamilton (Montana, USA) von Zecken, die sein Kollege Jorge Benach vom New York State Health Department in Stony Brook (New York, USA) auf Shelter Island (New York, USA) gesammelt hatte. Diese Binneninsel gehörte zwar zum Endemiegebiet der „Lyme Disease“, doch waren die beiden Forscher eigentlich einem Bakterium auf der Spur, das für das „Rocky Mountain Fleckfieber“ (englisch: Rocky Mountain spotted fever) verantwortlich gemacht wurde.
Quelle: Burgdorfer W (1984): Discovery of the Lyme disease spirochete and its relation to tick vec-tors. Yale J Biol Med 57, 515-520
1982 veröffentlichte Willy Burgdorfer seine Vermutung, dass die Lyme-Krankheit eine von Zecken übertragene Spirochäte sei.
Quelle: Burgdorfer, W., et al., Lyme disease-a tick-borne spirochetosis? Science, 1982. 216(4552): p. 1317-9.
Erstes Internationales Lyme-Disease-Symposium bereits 1983 in den USA
Zu Ehren Burgdorfers wurde das Bakterium 1983 auf dem 1. Internationalen Lyme-Disease-Symposium in Yale, New Haven nach ihm benannt: Borrelia burgdorferi. Zwei Jahre später 1985 setzte sich schließlich auf dem 2. Internationalen Kongress in Wien der Begriff „Lyme-Borreliose“ durch.
Quelle: Satz N: Klinik der Lyme-Borreliose, 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage; Verlag Hans Huber, Bern 2010
Im deutschsprachigen Raum war die „Lyme-Borreliose“ bis 1985 unter dem Namen die „Erythema-migrans-Krankheit“ bekannt.
Quelle: Wörth, W.D.; Diagnostik und Therapie der Erythema-migrans-Krankheit, DMW 1985 Nr. 36, S. 1377-79
Im Jahre 2015 wurde dann die namentliche Abtrennung vorgenommen. Bis dahin galt die Erkrankung „Borreliose“ sowohl für das Rückfallfieber, als auch für die eben beschriebene Borrelioseform. Nun gibt es die Borreliose und die Borreliellose.
Quellen:
A phylogenomic and molecular marker based proposal for the division of the genus Borrelia into two genera: the emended genus Borrelia containing only the members of the relapsing fever Borrelia, and the genus Borreliella gen. nov. containing the members of the Lyme disease Borrelia (Borrelia burgdorferi sensu lato complex). https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24744012
http://doi.namesforlife.com/10.1601/tx.26056
Borreliella Adeolu & Gupta, 2015 in Leibniz Institute DSMZ – German Collection of Microorganisms and Cell Cultures. Prokaryotic Nomenclature Up-to-date. Checklist Dataset https://doi.org/10.15468/oclygu accessed via GBIF.org on 2017-11-04.
Übertragung nicht nur durch Zecken möglich
In den letzten 30 Jahren sind noch weitere Übertragungswege bekannt geworden, wie man eine Borreliellose (Lyme-Borreliose) bekommen kann.
Der Ursprung waren wohl infizierte Zecken, wobei nicht eindeutig geklärt ist, wie die Zecken an die Borrelien (Borreliellen) gekommen sind. Manche glauben, dass Rehe und Vögel von Zecken auf Plum Island (auf Plum Island befindet sich das “Animal Disease Center” seit 1954, New York State) überrannt worden sind und von dort die Ausbreitung begann. Doch relativ zeitgleich stiegen auch die Fälle in Deutschland. Seit Mitte der 80iger Jahre taucht in jedem deutschen Medizinbuch für Infektionserkrankungen diese Krankheit auf und zwar als teilweise chronisch verlaufende Infektionserkrankung. Interessant auch, dass der Labortest auf Antikörper ebenfalls zeitgleich am Markt auftrat und das in sehr vielen westlich-orientierten Ländern.
Quelle: Brandis, H., Pulverer, G.; Lehrbuch der medizinischen Mikrobiologie, 6. Auflage; Gustav Fischer Verlag; 1988
Übertragung auch durch Mücken möglich
Untersuchungen im Jahr 2016 bewiesen, dass auch Mücken die Borreliose (heute: Borreliellose) übertragen.
Quelle: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Borreliose: Übertragung durch Mückenstich; Senckenberg-Wissenschaftler haben erstmalig Borrelien in deutschen Stechmücken nachgewiesen; 22.03.2016
Wie kommen nun die Erreger in die Mücken?
Aus alten Quellen weiß man, dass nach den beiden großen Weltkriegen I. und II. malariainfizierte Soldaten nach Deutschland heimkehrten und die Malaria tertiana so durch die einheimischen Mücken weiter zu den daheimgebliebenen Menschen übertragen wurde. So könnte man sich vorstellen, dass nachdem die Zecken die Bakterien in die Warmblüter übertragen haben, andere Insekten die Krankheitsverbreitung schneller vorangetrieben haben.
- Quelle: Margot Kathrin Dalitz: Autochthone Malaria im mitteldeutschen Raum. Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg 2005 (bibliothek.uni-halle.de – Dissertation).
- Wissenswertes: Die deutsche Malaria tertiana, eine Form der Malaria, die auch in Deutschland bis 1956 vorkam.
Übertragung durch Sexualkontakt
Im Tierversuch hat sich auch bestätigt, dass Borreliella burgdorferi (damals: Borrelia burgdorferi) durch sexualkontakt übertragen wird. So ist es natürlich aus ethischen Gründen nicht möglich dies bei Menschen nachzustellen, aber die Hinweise könnten in diese Richtung gehen.
Quelle: Sticker, R.B., Middelveen, M.J.; Sexual transmission of Lyme disease: challenging the tickborne disease paradigm. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26489537
Welche Übertragungswege werden derzeit in Veröffentlichungen genannt?
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Zecken
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andere Insekten (wie Kriebelmücken, Bremsen etc.)
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Sexualkontakt
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Bluttransfusionen
Quelle: Labor DEDIMED,
Welche neurologischen Erkrankungen werden derzeit der Borreliose (heute: Borriellose) zugeschrieben?
Autismus:
Eine Studie über autistische Kinder behauptet, dass man zwar hauptsächlich seronegative Laborergebnisse für Borrelien (heute: Borreliellen) vorzuweisen hätte. Dennoch hat die Kontrolle anhand von Immunoblots mit breitem Bandenspektrum ergeben, dass die Kinder (in dieser Studie) verdeckt an „Lyme-Borreliose“ leiden.
Quelle: Kuhn, M.; Bransfield, R.; Divergent opinions of proper Lyme disease diagnosis and implications for children co-morbid with autism spectrum disorder. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24986703
Alzheimer:
Die Alzheimererkrankung wird ebenfalls in vielen Studien in Zusammenhang mit der „Lyme-disease“ gesetzt. In vielen Gehirnschnitten fand man Borrelien. Auch Borrelia miyamotoi wird als Mitverursacher für Alzheimer benannt.
Quellen:
Judith Miklossy; Alzheimer’s disease – a neurospirochetosis. Analysis of the evidence following Koch’s and Hill’s criteria; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3171359/
Alan MacDonald; The Chronic Borrelia Brain Infection isa Cause of Alzheimer’s Disease.
Parkinson:
Willy Burgdorfer, der Entdecker dieser hier thematisierten Spirochäte, ist Jahre nach seiner Entdeckung selber an Morbus Parkinson erkrankt, womöglich hatte er sich bei einem seiner Versuche infiziert.
Quelle: William Yardley: Willy Burgdorfer, Who Found Bacteria That Cause Lyme Disease, Is Dead at 89. In: The New York Times, 19. November 2014.
Wilhelm „Willy“ Burgdorfer, er starb am 17. November 2014 in Hamilton, Montana, an den Folgen der Parkinson-Krankheit.
Under Our Skin – Dr. McDonald Clip, Lyme Disease, Alzhemer’s, MS
Warum so viele Grabenkämpfe rund um die Borreliose?
Aus meiner Sicht ist die Geschichte der Lyme-Borreliose ein einziges Desaster. Die Krankheitsausbreitung konnte nicht eingedämmt werden, die Labortests sind nicht eindeutig, die Behandlungsempfehlungen gehen weit auseinander, die Patienten klagen oftmals Jahre bis Jahrzehnte über ihre Symptome, die offiziellen Medien mahnen zur Zurückhaltung, die sogenannten Co.-Infektionen, die auch durch Zecken übertragen werden, werden kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen und der Patient ist am Ende völlig verunsichert.
Dazu kommen völlig konträre Meinungen in allen ärztlichen Fachdisziplinen vor. Aber nicht nur dort, sondern auch unter den Patienten, unter dem ärztlichen Personal und innerhalb von Familien sind Grabenkämpfe an der Tagesordnung.
Zu verstehen ist das eigentlich nicht. Denn in anderen medizinischen Bereichen tritt so etwas nur selten auf. Wenn wir beispielsweise einen gebrochenen Arm haben, so werden zu fast 100% aller Menschen auf diesem Planeten zustimmen den Arm zu schienen. Doch im Bereich der Lyme-Borreliose gibt es kaum einen Punkt auf den man sich einigen kann, egal ob Aussehen des Erregers, Behandlung oder Diagnostik.
Leider sehe ich auch nicht, dass sich in naher Zukunft etwas daran ändern wird.
Für den Patienten jedoch ist die Lyme-Krankheit nicht nur eine Infektionserkrankung, sondern auch eine Erkrankung mit vielen verschiedenen Meinungen.
Videotipp:
LYME DISEASE A SILENT EPIDEMIC
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